Ist /usr im Linux-Verzeichnis wirklich die Abkürzung für User?

Der Butterfly-Effekt eines Hardware‑Unfalls vor 50 Jahren

Wenn man Linux oder Unix benutzt, hat man sich vielleicht schon einmal gefragt:

"Was bedeutet eigentlich /usr?"

Auf den ersten Blick sieht es aus, als wäre es einfach „User“ ohne das „e“. Warum also nicht einfach /user? Vielleicht war es ein Tippfehler oder die Zeichenbegrenzung? Doch Verzeichnisse wie /boot, /home oder /proc haben vier Zeichen und existieren problemlos.

Wenn es wirklich „User“ wäre, hätte man einfach /user geschrieben. Die Wahl von /usr verbirgt jedoch eine Geschichte, die wir heute noch nicht kennen.

In diesem Beitrag tauchen wir ein in die 50‑jährige, humorvolle Hardware‑Geschichte, die hinter dem heutigen /usr steckt – ein Thema, das Entwickler einmal mit einem „Aha!“ und einem klopfenden Knie begrüßen.

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1. Fazit: Heutiges /usr ist kein User



Im aktuellen Linux‑Dateisystem‑Standard (FHS, Filesystem Hierarchy Standard) wird /usr wie folgt definiert:

Ein Bereich, der systemweit verwendete, (meist) schreibgeschützte Programme, Bibliotheken und gemeinsame Daten enthält.

Deshalb sieht die Struktur so aus:

  • /usr/bin – die meisten benutzerbezogenen ausführbaren Dateien
  • /usr/sbin – systemadministrative ausführbare Dateien
  • /usr/lib* – die Bibliotheken, die diese Programme nutzen
  • /usr/share – Architekturunabhängige Daten wie Man‑Pages, Icons und Lokalisierungen

Hier ist kein Platz für persönliche Dateien. Home‑Verzeichnisse, Dokumente und Fotos liegen alle unter /home.

Kurz gesagt:

/usr = „Kein User, sondern ein gemeinsamer System‑ und Anwendungs‑Ressourcen‑Speicher.“

Die Frage bleibt: „War usr ursprünglich nicht ein Kürzel für User?“

Hier kommt die Geschichte ins Spiel.


2. Frühes Unix: /usr/Benutzername war das Home‑Verzeichnis

Stellen wir uns die frühen 1970er Jahre vor. In Unix‑Systemen war das Home‑Verzeichnis nicht mehr wie heute /home/alice, sondern

  • /usr/alice – direkt unter /usr.

Damals war /usr wirklich ein Verzeichnis für Benutzer‑Daten.

Die Computer waren Geräte wie der PDP‑11, und die Festplatten waren im Vergleich zu heute winzig.

  • Root‑Disk (/) – ein schmaler Raum für die Kern‑OS‑Dateien
  • Zweite Disk (/usr) – ein etwas größerer Raum, in dem die Home‑Verzeichnisse platziert wurden

Diese Struktur war logisch. Das Problem war, dass Unix und seine Entwickler schnell wuchsen.


3. „Disk voll“ → Systemdateien in /usr verschieben



Unix wuchs weiter, neue Befehle und Funktionen kamen hinzu, aber die Root‑Disk blieb gleich. Eines Tages kam die Erkenntnis:

„Wir haben keinen Platz mehr auf / für Programme.“

Die Entwickler entschieden sich pragmatisch:

„Der zweite Disk‑Bereich /usr ist großzügig, also verschieben wir dort Programme, die nicht zwingend beim Booten benötigt werden.“

So begann /usr, das ursprünglich ein Benutzer‑Verzeichnis war, langsam mit Programmen, Bibliotheken und Daten gefüllt zu werden.

Das Ergebnis ist die heutige Struktur:

  • /bin – essentielle Befehle (ursprünglich auf der Root‑Disk)
  • /usr/bin – die restlichen Befehle (auf der zweiten Disk)
  • Ähnliche Logik gilt für /lib vs. /usr/lib

Kurz gesagt: /usr wurde aus Platzmangel in ein System‑Verzeichnis umgewandelt – ein klassischer „Hack“, der sich durchgesetzt hat.


4. „Unix System Resources“ – ein späteres Backronym

Mit der Zeit entstand die Idee, dass /usr für Unix System Resources steht. Dieses Backronym wurde später eingeführt, um die aktuelle Bedeutung zu erklären, obwohl es ursprünglich nicht so gedacht war.

„Das war ein Backronym – die Abkürzung wurde später nachträglich interpretiert.“

Die ursprüngliche Dokumentation zeigt, dass /usr User war, aber durch die Disk‑Kapazitätsprobleme wurde es zu einem Speicher für Programme und Bibliotheken.


5. Von der 50‑jährigen Geschichte bis zur heutigen Usr‑Merge

Heutzutage arbeiten Linux‑Distributionen wie Ubuntu, Fedora und Debian daran, die historische Struktur zu vereinheitlichen – das ist die Usr‑Merge.

Ein Beispiel:

$ ls -l /
lrwxrwxrwx 1 root root    7  ...  bin  -> usr/bin
lrwxrwxrwx 1 root root    7  ...  sbin -> usr/sbin
lrwxrwxrwx 1 root root    7  ...  lib  -> usr/lib

Hier sind /bin, /sbin und /lib keine echten Verzeichnisse mehr, sondern symbolische Links zu /usr/bin, /usr/sbin und /usr/lib.

Die Gründe für die Zusammenführung sind vielfältig:

  • Vereinfachung des Paketmanagements
  • Leichtere Handhabung von Containern und Images
  • Keine Notwendigkeit mehr, die alte Disk‑Kapazitätsbeschränkung zu berücksichtigen

Alles begann mit der Entscheidung, Programme in /usr zu verschieben, weil die Festplatten zu klein waren – ein temporärer Fix, der sich als dauerhaft erwies.


6. Heutiges Verständnis von /usr

Wenn Sie ein Linux‑System betreiben, denken Sie an:

/usr ist der Bereich für gemeinsam genutzte Programme, Bibliotheken und Daten.“

Im Gegensatz dazu:

  • Persönliche Dateien → /home/username
  • Häufig wechselnde Daten (Logs, Cache, DB) → /var
  • Nicht über Paketmanager installierte Anwendungen → üblicherweise /opt oder /usr/local

Kurz gesagt:

  • /usr = OS‑ und Anwendungs‑Ressourcen
  • /home = persönlicher Bereich

Fazit: Ein Verzeichnis, ein Kompromiss

Das Verzeichnis /usr trägt die Geschichte von:

  • Platzmangel in frühen Unix‑Systemen
  • Temporären Lösungen, die später Standard wurden
  • Die Usr‑Merge‑Initiative, die die Struktur vereinfacht

Wenn Sie nun /usr/bin oder /usr/lib sehen, denken Sie daran: Das ist das Ergebnis eines 50‑jährigen Hardware‑Limits, das zu einem dauerhaften Standard wurde.